
Im Rahmen des Erasmus+-Programms des ADD-Konsortiums Rheinland-Pfalz hatte Helmuth Biernoth für unsere Schule die Möglichkeit, an einem Job-Shadowing-Projekt teilzunehmen. Er reiste vom 13. bis 17. Januar 2025 in die finnische Stadt Seinäjoki, etwa 300 km nördlich von Helsinki gelegen. Diese Stadt mit ihren rund 70.000 Einwohnern bietet eine vielfältige Bildungslandschaft, die durch den Besuch von drei Schulen näher erfahren werden konnte.
Finnland, dessen Bildungssystem in internationalen Vergleichsstudien regelmäßig Spitzenplätze belegt, beeindruckt durch seine klare Struktur und integrative Ausrichtung bis Klasse 9. Das System ähnelt in vielerlei Hinsicht dem unserer integrierten Gesamtschule.


Besonders hervorzuheben ist die hervorragende personelle Ausstattung der Schulen: Klassen umfassen maximal 24 Schüler, und ein breites Netzwerk aus Lernhelfern, Sozialarbeitern und Psychologen sorgt dafür, dass Schüler bei Bedarf gezielt unterstützt werden können. Zudem bekommen alle finnischen Schüler ein Mittagessen umsonst angeboten. Die Schulen sind modern eingerichtet und es ist ein großes Bemühen zu erkennen, dass sich junge Menschen in diesen Räumen wohlfühlen.


Digitalisierung und moderner Unterricht
Digitale Medien sind auch im finnischen Schulalltag unverzichtbar. Bis Klasse 9 werden jedoch Smartphones zu Beginn des Unterrichts eingesammelt und nur bei Bedarf genutzt. Ab Klasse 10 (entspricht der gymnasialen Oberstufe) genießen die Schüler mehr Freiheiten. Hier stellt der Staat jedem Schüler einen Laptop mit den digitalen Lehrmaterialien zur Verfügung. Prüfungen werden vollständig digital in einem geschützten System abgelegt, während handschriftliche Arbeiten ab Klasse 10 kaum noch eine Rolle spielen. Vorher bleibt der Unterricht jedoch stärker an klassischen Lehrmaterialien wie Büchern und Heften orientiert.


Schulentwicklung
Ein interessanter Aspekt des finnischen Bildungssystems ist der Fokus auf kontinuierliche Schulentwicklung. Seit 2023 sind alle Schulen verpflichtet, bis 2030 ein Qualitätsprogramm zu erstellen, das von den individuellen Schwerpunkten der Schulen ausgeht. Jede Lehrkraft beteiligt sich hierbei verpflichtend an einer Entwicklungsgruppe, die sich mit Themen wie „Organisationsstrukturen“, „Schulklima“, „Digitalisierung“ oder „Internationale Kontakte“ auseinandersetzt. Die flachen Hierarchien und das skandinavische „Du“ fördern eine kollegiale Zusammenarbeit. Die Teamleitung wechselt alle zwei Jahre, sodass jede Lehrkraft diese wichtige Rolle einmal übernehmen und auch lernen kann.
Unterrichtsmethoden und kulturelle Unterschiede
Der finnische Unterricht ist stark lehrerzentriert und vom Dozieren geprägt. Schülerarbeiten finden meist in Einzel- oder Partnerarbeit statt, oft auch zu Hause. Bemerkenswert ist die hohe Zuverlässigkeit, mit der die Schüler ihre Aufgaben erledigen, was auf den hohen Stellenwert von Bildung in finnischen Familien zurückzuführen ist.
Gleichzeitig wurde jedoch von den finnischen Kollegen eingeräumt, dass diese Methodik wenig Raum für die Entwicklung von „thinking skills“ lässt. Diskussionen, Argumentationen oder kritische Reflexionen spielen kaum eine Rolle. Die Schüler wirken oft introvertiert und zurückhaltend – eine Eigenschaft, die finnische Kollegen als Teil ihrer Kultur beschreiben: „Man redet nicht so viel.“
Englischkenntnisse und Internationalität
Die guten Englischkenntnisse der finnischen Schüler sind ein weiteres hervorstechendes Merkmal. Neben speziellen B-Klassen, die ab der ersten Klasse Inhalte auf Englisch unterrichten, trägt die intensive Nutzung englischsprachiger Filme, Spiele und Internetangebote zur Sprachkompetenz bei.


Fazit
Der Aufenthalt in Seinäjoki bot wertvolle Einblicke in ein hervorragend organisiertes Bildungssystem, das mit personeller und digitaler Ausstattung überzeugt. Gleichzeitig regt der Fokus auf lehrerzentrierten Unterricht und die geringe Förderung von Argumentationsfähigkeit zum Nachdenken über die Vor- und Nachteile dieser Herangehensweise an.
Durch diese Erfahrung können neue Impulse für die Weiterentwicklung unserer eigenen Schulkonzepte gewonnen werden. Der Austausch mit finnischen Kollegen unterstrich, wie wichtig ein kontinuierlicher Blick über den Tellerrand für die Verbesserung von Bildung und Schulentwicklung ist.