Friederike Becht

Interviewpartner: Friederike Becht
Interviewer: Josephine Wenner und Jules Valdés-Perseke (6d)
Datum: 19.10.2021
Ort: IGS Kandel
Friederike Becht stammt aus Winden und besuchte in den Jahren 1997 bis 2003 die IGS Kandel. Nach ihrem Abschluss der mittleren Reife besuchte sie die Universität der freien Künste in Berlin. Sie zählt heute zu den erfolgreichsten freischaffenden Schauspielerinnen Deutschlands und wurde mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt mit Ihrem Mann und Ihren zwei Kindern in Bochum.
2022 Gewinnerin des deutschen Filmpreises: Sehen Sie hier einen ARD-Beitrag
 
(Anmerkung: Die hier gezeigten Fotos sind von der Fotografin Henriette Becht, ebenfalls Ex-Schülerin der IGS-Kandel und Friederikes große Schwester)
 
Jules: Herzlich willkommen an Ihrer alten Schule. Wir freuen uns, dass Sie Zeit für uns gefunden haben.
Frieda B.: Danke. (kichert)
Jules: Sind Ihnen hier Veränderungen aufgefallen?
Frieda B.: Nö, gar nicht. Ich habe gerade gedacht, das sieht alles noch so aus wie vorher. Außer die Masken, die unten am Theater bzw. der Aula hängen, die sind neu, die kannte ich noch nicht. Und das Philosophieschild ist neu. Es gab früher keine Philosophie, was ich schade fand und schön finde, dass es das jetzt gibt. […] Aber sonst ist alles gleich. (lacht) […]
Jules: Wir wissen, dass Sie bereits mit etwa 8 Jahren Schauspielerin werden wollten. Hatten Sie neben dem beeindruckenden Filmerlebnis „König der Löwen“ auch ein Schauspieleridol, das sie zur Schauspielerei inspirierte?
Frieda B.: Nur Simba. Ich war vorher noch nie im Kino und fand Simba cool, weil er die Geschichte erzählt hat. […] Ich fand Leonardo Di Caprio süß, aber ich habe mir nicht gedacht, `wow der spielt ganz toll`, denn ich hatte keine Ahnung. Ich fand nur toll, dass man Geschichten erzählen kann, und dann kommen alle zusammen, die sich nicht kennen und der Raum fängt an zu lachen oder es wird ganz still. Das fand ich toll und dachte mir: Das will ich auch machen. […]
Josephine: Sie haben während Ihrer Schulzeit selbst das Wahlpflichtfach „Darstellendes Spiel“ besucht. Weshalb würden Sie Schüler*innen, die ebenfalls gerne Schauspieler werden möchten, das Fach empfehlen Frieda B.: Auf jeden Fall, weil man dann erfahren kann, ob es einem Spaß macht. Du lernst kennen, dass du eigentlich in einer Gruppe arbeitest, wie man mit Texten arbeitet, also ob du den Text lernen kannst oder auch ob dir das   Improvisieren Spaß macht. Und in dem Moment, in dem du Darstellendes Spiel anfängst, kannst du vielleicht auch schon begreifen, was Schauspielerei bedeutet. […]
Josephine: Welche Vorteile hat es, an einem Theater ein Praktikum zu machen, wenn man später gerne Filme drehen möchte?
Frieda B.: Also ich wollte nie nur Filme drehen, ich wollte eigentlich Schauspielerin werden und das bedeutete für mich auf der Bühne zu stehen, weil ich das auch beim Darstellenden Spiel und bei Theater-Workshops so erfahren habe. Das Theater ist reich an Geschichten und Möglichkeiten sich auszudrücken und wenn ich jetzt nur Film gemacht hätte, ich glaube, dann wäre ich nicht so gut, in Anführungszeichen, oder ich hätte nicht so viel gelernt. Deshalb will ich auch immer wieder Theater spielen. […]
Josephine: Jetzt ein paar Fragen zu Ihrem Beruf: Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf?
Frieda B.: Dass ich mich mit ganz verschiedenen Sachen auseinandersetzen kann. Wenn ich zum Beispiel eine Krankenschwester spiele, dann überlege ich, wie ein Tag von ihr abläuft. […] Und bei jedem Theaterstück oder Film beschäftige ich mich mit ganz unterschiedlichen Sachen, die ich sonst nicht erfahren würde und natürlich begreife ich Menschen ganz gut, also die Auseinandersetzung damit, wie Menschen sich verhalten. Zum Beispiel nachzuvollziehen, wenn jemand blöd ist und jemanden schlägt, das ist zwar nichts, das ich toll finde, aber ich lerne und begreife, was vielleicht dahintersteht. […]
Außerdem habe ich Spaß daran mich zu verwandeln und andere Welten zu erkunden, andere Rollen, andere Menschen kennen zu lernen.
Josephine: Ist ihr Beruf sehr anstrengend?
Frieda B.: Bestimmt, aber mir macht das Spaß. (lacht)
Josephine: Drehen Sie Ihre Stunts selbst, wenn es welche im Film gibt?
Frieda B.: Nicht alle […] Ich würde auch gerne mehr Stunts machen, aber wenn ich sehe, dass ein Stuntmann 15 Meter tief von einem Haus für mich gesprungen ist…
Hätte ich das selbst gemacht, müsste ich das lange trainieren, bis ich das kann, sodass einem nichts passiert und dann ist es immer noch gefährlich. Die haben auch keine Frau gefunden, die das kann, denn die Frau, die das trainiert hat, war gerade schwanger gewesen. Den Mann haben sie verkleidet, ihm eine Perücke aufgezogen und so ne Jacke, wie ich sie an hatte und dann ist er für mich runter gesprungen. […] Und der eine, der hat sich plötzlich nicht mehr bewegt, der lag in dem Kissen, denn man muss darauf achten, wie man sich dreht und er hat sich zu früh gedreht. Es ist nichts passiert, aber er musste kurz ins Krankenhaus, weil der Aufprall etwas zu heftig war. […] Aber kleine Stunts mache ich gerne selbst, z.B. trainieren, wie man mit der Faust an das Gesicht des anderen kommt, ohne dass man diesen verletzt und dass es auch so aussieht, also würde man sich hauen. Andere kleine Stunts, bei denen ich weiß, dass ich mich nicht verletzte, mach ich auch, da ich Verantwortung habe, denn wenn ich mich verletze, ist der ganze Film lahmgelegt.
Jules: Wir würden gerne mehr darüber wissen, wie sich Schauspieler in ihre Rolle versetzen?
Frieda B.: Ganz unterschiedlich. Wie gesagt, wenn ich jemanden spiele, der nicht laufen kann, dann überlege ich, wie der z.B. seinen Kaffee macht. […] Als ich Käthe Kruse gespielt habe, das ist eine Puppenbildnerin gewesen, bin ich zu jemandem gegangen, der das kann und habe mit den eigenen Händen versucht, wie es ist, Puppen zu machen. […] Oder als ich eine Rudrerin gespielt habe, musste ich rudern lernen oder für die Rolle einer Polizistin lernst du, wie du mit einer Waffe umgehst.  […]
Josephine: Ist es schwer aus einer Rolle wieder herauszufinden?
Frieda B.: Ja, manchmal schon. Das ist so, wie wenn ihr ein Buch lest oder eure Freundin erzählt euch etwas, das sie traurig gemacht hat, dann nehmt ihr die Geschichte mit. Wenn ich mich den ganzen Tag mit jemanden und seinen Gedanken auseinandersetze, dann ist es schwer, zu sagen, ich nehme das jetzt nicht mit ins Bett. Ich mache abends immer ein Ritual, so wie, wenn ich ein Kostüm anziehe, das ist wie die Verwandlung in jemand anderes, so lege ich es abends ab und mache anschließend eine Art Atemübung. Dann weiß ich, ich lasse das hier und gehe jetzt nach Hause, aber natürlich beeinflusst einen das. Das ist aber nicht immer schlecht.
Jules: Haben Sie einen Tipp für uns, der Ihnen am Anfang Ihrer Karriere geholfen hat?
Frieda B.: Ja, ich würde sage, dass ihr nochmal nachdenken sollt, warum ihr Schauspieler werden möchtet. […] Wenn ihr es wirklich wollt, sucht euch am besten direkt eine Agentur, aber schaut euch das Theater an und besucht das Darstellende Spiel, lernt zu improvisieren und lernt alte Texte kennen. Denn zuerst denkt man, dass man nichts versteht, aber sobald man begreift, worum es geht, kann man total viel mit alten Texten anfangen. Überlegt genau, was ihr machen wollt - Stuntwoman oder Stuntmann oder Schauspieler und eben ob am Theater oder im Film und am besten werdet ihr beides. […] Aber falsche Vorstellungen dürft ihr nicht haben. Den roten Teppich gibt es manchmal und das ist auch ganz nett, denn man wird fotografiert und kommt in irgendeine Zeitung, aber das ist erstens Arbeit, zweitens gar nicht so luxuriös wie man denkt. Denn man kommt ins Hotel, muss sich schnell umziehen, muss direkt dahin, darf keine Autogrammkarten mehr schreiben, weil man rein muss. Richtig glamourös ist das nicht. Am Ende geht es aber auch nicht darum, zu sagen, dass man im Fernsehen war, sondern zu überlegen, warum man den Beruf macht.
Ich mach den Beruf gerne, weil ich Spaß daran habe, mich zu verwandeln, mit mir andere Welten zu erkunden, andere Rollen, andere Menschen kennen zu lernen, die ich entwickle und darum geht es. Hinterfragt, warum ihr das machen wollt, macht Praktika und schaut, was euch interessiert, denn es gibt viele verschiedene Berufe und Möglichkeiten beim Film oder Theater.
Jules: Beeinflusst Sie die Rolle auch privat?
Frieda B.: Ja, manchmal. Ich habe mal gespielt, dass ein Kind gestorben ist, das war sehr traurig und wenn ich dann zuhause war, vor allem wenn die beiden [Kinder] nicht da waren, dann war es so komisch leise und dann hab ich mich gefragt: ´Wo sind meine Kinder?` und dann denkt man vielleicht kurz daran und erkennt, dass man sensibel für das Thema ist, weil man sich gerade damit beschäftigt.
Jules: Wie fühlt man sich, wenn man beim Schauspiel einen fremden Mann küsst, obwohl man zuhause einen Mann hat?
Frieda B.: Wie man sich da fühlt? (lacht) Oh Gott, ganz unterschiedlich. Meistens sind die Kollegen ganz nett und man ist befreundet. Die stinken nicht und sind ok. Man probt das auch und fragt sich gegenseitig, ob es in Ordnung ist, wenn man das jetzt ausprobiert und dann macht man das. Aber es ist genauso krass, wenn man sich anschreit oder haut. So ist es auch beim Küssen – man spielt das halt und […] und danach geht man wieder nach Hause. Im besten Fall kann man das voneinander trennen.
Josephine: Wie bereiten Sie sich auf eine Kussszene vor? Essen Sie da zum Beispiel auf gar keinen Fall Knoblauch?
Frieda B.: Nur wenn der andere auch Knoblauch isst (lacht) […], aber meistens esse ich sowas nicht. […]
Jules: Wie lange dauert denn ein Filmdreh?
Frieda B.: Unterschiedlich. Je nachdem, wenn du eine Serie drehst, 3-4 Monate und wenn du einen Film drehst, manchmal nur 21 Tage. Das ist sehr wenig. […] Am besten ist es, wenn es 28 oder 30 Tage sind. […] Filme sind aber häufig schon ganz alt, bis sie gedreht werden, da das Buch geschrieben werden muss, ein Regisseur muss gefunden werden, die Besetzung festgelegt und das dauert ewig und bis der Film rauskommt dauert es auch meistens nochmal ein Jahr oder länger.
Josephine: Wo hat Ihnen die Schule geholfen auf dem Weg zu dem, was Sie heute sind?
Frieda B.: Ganz doll tatsächlich, denn ich war gar nicht so gern in der Schule und auch nicht unbedingt eine gute Schülerin. Ich hatte viele Fünfen und war in Mathe wahnsinnig schlecht. Ich hatte auch nicht wirklich so viel Selbstbewusstsein und das Schauspiel, also die Erfahrung auf der Bühne hier [an der IGS Kandel], hat mir Bestätigung gegeben und gezeigt `Krass, das kann ich gut, wie die gucken`. Das hat mir ganz viel Energie geschenkt und dann wurde ich auch eine bessere Schülerin, auch in anderen Fächern, weil ich für mich Kraft gefühlt habe und in meinem Leben Stärke, so in der Art ´Cool, ich kann was, ich kann auch Mathe` (lacht). Das hat mir wirklich sehr viel Kraft gegeben.
Josephine: Was ist Ihnen aus Ihrer Schulzeit in Erinnerung geblieben? Frieda B.: Ganz viel. Das Darstellende Spiel natürlich und vieles, über das man auch erst später nachdenkt. […] Mir ist auch in Erinnerung geblieben, dass mein Deutschlehrer wahnsinnig toll war und da er zu mir gesagt hat, dass ich das hier an der Schule nicht für ihn mache, für niemanden, sondern nur für mich und wenn ich eine Klasse wiederholen muss, dann habe ich ein Jahr mehr Zeit zum Lernen und das ist auch kein Problem. Und das fand ich toll und habe ich auch erst bei ihm richtig verstanden. Ich fand es auch anstrengend in die Schule zu gehen: Früh aufstehen, Sachen machen, die einem eventuell überhaupt keinen Spaß machen, manche Fächer. Mich zu motivieren, hat mir da zum Beispiel das Darstellende Spiel geholfen. […]
Josephine: Gibt es etwas, das Sie den Schüler*innen der IGS Kandel raten würden?
Frieda B.: Ärgert euch nicht, seid lieb zueinander, lernt für euch. Und eine Fünf ist eine Fünf und eine Sechs ist eine Sechs, aber davon geht die Welt auch nicht unter und das heißt auch nicht, dass ihr schlecht seid oder dass ihr nichts könnt. Schule ist anstrengend, aber ihr schafft das schon.
Josephine: Gibt es auch einen Rat, den Sie den Lehrer*innen der IGS geben würden?
Frieda B.: Durchhalten (lacht). Ärgert die Kinder nicht, helft den Kindern, dass Sie sich nicht gegenseitig ärgern, helft ihnen, dass sie verstehen, dass sie für sich lernen. Seid nachsichtig, bleibt in der Geduld […] und atmet durch.
Josephine: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.   
 
 
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