Nach zwei Wochen Aufenthalt in Lima ging es auf Entdeckungstour in den Norden Perus. Wir, die deutschen Austauschschülerinnen mehr oder weniger im Gepäck unserer Spanischlehrerin Frau Steinbach mit Familie.
Die Sechs-Tage-Reise nach Trujillo startete morgens an der Busstation des Unternehmens „cruz del sur“ in Lima mit einem für uns alle überraschenden Anfang. Unser Reisebus verfügte über sehr breite Sitze, tolle Beinfreiheit, einen Fernseher, Kissen, Decken sowie Verpflegung. Das war kein Schulbus wie wir ihn kennen. So empfanden wir die neunstündige Fahrt eher gemütlich. Kaum die Achtmillionenstadt verlassen, erlebten wir sofort ein Kontrastprogramm im Vergleich zu den Eindrücken in der City. Ärmlich gebaute Hütten aus Wellblech hinterließen in uns das Gefühl, wie arm die Leute hier leben müssen und wie gut es uns doch dagegen in Deutschland geht. Zeitvertreib bot sich, als alle Busreisende Bingo-Karten bekamen. Nicht nur die spanischen Zahlen wurden gefestigt, auch hatte eine von uns, das war Milena, das Glück, alle Zahlen richtig zu haben. Sie gewann eine Busreise! Welch große Freude! Einlösen konnte sie diese Reise leider nur in Peru … also doch eher Pech gehabt, aber eine Riesengaudi war es dennoch. Am späten Nachmittag erreichten wir unser Ziel und wurden herzlich von unserem ersten Guide Ingeborg begrüßt.
Im 3-Sterne Hotel San Andrés, mit einem kleinen Pool auf dem Dach des Hotels, von dem wir auf die hell erleuchtete zweitgrößte Stadt Perus blicken konnten, bezogen wir unsere Zimmer und kühlten uns ausgiebig ab. Überraschend war das darauffolgende Abendessen: Chinesische Küche mit enormen Portionen. In Peru hat man scheinbar immer großen Appetit auf geballte Ladung. Nach gut verbrachter Nacht gestaltete sich der Mittwoch als peruanischer Sightseeingtag, bei dem im Eilverfahren ein UNESCO-Weltkulturerbe dem anderen folgte: Morgens Wanderung am Mondtempel (Huaca de la luna) und danach Besuch der Lehmziegelstadt Chan Chan. Dann die Fahrt zum Fischerdorf Huanchaco mit seinen berühmten Binsenbooten, einer kurzen Wanderung am Pazifikstrand und dem Mittagessen (wieder Riesenportionen), Rückfahrt ins Hotel, Abkühlung im Pool und ab zum Abendessen in die Innenstadt. Dieses wird uns wohl länger in Erinnerung bleiben. Es gab nämlich ausgewählte peruanische Spezialitäten unter anderem Meerschweinchen.
Eine Speise, die in den Anden typisch ist. Meerschweinchen schmecken wie Hühnchen, sehen aber auf dem Teller nicht ganz so aus! Auf dem Heimweg begegneten wir zufällig einer Tanzgruppe, die auf einem Platz in der Stadtmitte gerade einen traditionellen Tanz aus der dem peruanischen Regenwald aufführte. Es war eine schöne Darbietung, auch wenn wir noch immer in der peruanischen Küstenwüste waren.
Am Ende einer kurzen Nacht ging es dann donnerstags morgens um 7.00 Uhr zum Museum von Sípan nahe der Hauptstadt der Region Lambayeque Chiclayo. Das pyramidenförmige Gebäude beherbergt spektakuläre Grabfunde von bedeutenden Königsgräbern der Lambayeque-Kultur. So viel Goldschmuck hatten wir noch nie vorher gesehen. Ein Mittagessen im einheimischen Bambusrestaurant war willkommene und nötige Grundlage für unsere erste Bergbesteigung. Lohn der Anstrengung: Gute Sicht auf die 27 Pyramiden von Tucúme, die leider schon mehr oder weniger der Erosion und vielen Grabräubern zum Opfer gefallen sind. Das Shopping am Abend im örtlichen Einkaufszentrum erinnerte kontrastreich zum Umland eher an das ECE-Center in Karlsruhe. Heimat? Modernes Peru, das gibt es auf jeden Fall auch.
Die nächtliche Busfahrt von Chiclayo nach Chachapoyas war besonders aufregend, da durch zahlreiche Regengüsse während der letzten Tage in dieser Region mit Erdrutschen auf holprigen Straßen ohne Befestigung zu rechnen war. Typisch für die Region Amazonas zu dieser Jahreszeit.
In Chachapoyas nahm uns Oskar von Bischofshausen, unser letzter Guide der Reise nach zwölfstündiger Nachtfahrt über die Anden in Empfang! Er war wirklich ein Glücksfall für unsere Reise. Sein Deutsch war super zu verstehen und seine humorvolle Art ließ nie Langeweile bei uns aufkommen. Oskar stammte von einer vor vier Generationen aus Hessen nach Peru ausgewanderten Familie ab.
Er zeigte uns zunächst die Stadt Chachapoyas, deren Stadtkern mit Gebäuden aus der Kolonialzeit geprägt ist und die auf 2335m Höhe inmitten einer wunderschönen Berglandschaft liegt. Und wieder gab es eine für uns neue Klimazone mit etwas Balsam für unsere bis dahin von der Hitze der Küstenwüste geplagten Körper, denn die Temperaturen bewegten sich zwischen 15 und 20 Grad. Nach einem frisch gepressten Saft und Pfannkuchen zum Frühstück stand dann der abenteuerlichen Fahrt über holprige, serpentinreiche Pisten vorbei an zahlreichen zum Teil frischen Erdrutschen zur Ruinenstadt Kuelap nichts mehr im Wege.
Nach drei Stunden dort angekommen gab es einen Haken: Das Wandern in 3.000 Meter Höhe will erst einmal gelernt und ertragen werden. Einsetzende Regenschauer erleichterten die Sache nicht wirklich. Doch die Laune blieb positiv, da uns Oskar perfekt bemutterte. Regenponchos hatte er für uns eingepackt und für uns IGS`ler war es der erste Regen, der auf uns niederfiel seit wir Deutschland im winterlichen Frühjahr verlassen hatten.
Als Belohnung für unsere Anstrengungen bei der Besichtigung der riesigen Festungsanlage der „Wolkenkriger“ (wie man „Chachapoyas“ übersetzen kann), wurden wir mit einem prall gefüllten Essenstisch in einem ganz einfachen Gasthaus eines kleinen Andendorfes belohnt: Maissuppe, Saubohnen, Forelle mit Reis, Kartoffeln, Mais und Kochbananen und frisch gekochtem Apfelsaft. Nach den Strapazen und vielen Stunden auf den Beinen war dies sehr wohl verdient. Die Menge war trotzdem wieder nicht zu schaffen.
Am nächsten Morgen stellten wir mit Bedauern fest, dass nur noch zwei Tage vor uns lagen. Wir besuchten einen Markt mit unzähligen frischen Obst- und Gemüsesorten, nahmen Proviant mit und erreichen nach halbstündiger Fahrt das Dorf Cocachimba, dem Startpunkt für unsere geplante dreistündige Wanderung. Die Hälfte von uns überließ die schwere Aufgabe gemieteten Pferden, die anderen meisterten die steile, anspruchsvolle Strecke mit dem Wanderstock. Es war die ständige Aussicht auf den Gocta-Wasserfall, unserem Tagesziel, welche die Schinderei erträglicher machte. Ananaspflanzen, Hängebrücken, Blüten und typische Regenwaldpflanzen erklärten uns Oskar sowie die uns begleitenden Führer des Dorfes, deren Spanisch wir gut verstehen konnten. Kurz vor dem Gocta-Wasserfall, mit 771 m einem der höchsten Wasserfälle der Erde, machten wir eine Lunchpaket-Pause mit einem wirklich einzigartigen Panorama.
Unter dem nassen, nebligen Wasserfall wurden anschließend noch Erinnerungsbilder geschossen, bei denen die Titanic-Pose keineswegs fehlen durfte. Dankbar waren wir, dass Mara eine wasserdichte Kamera bei sich trug. Auf dem Rückweg stellten wir in gut zwei Stunden eine Rekordzeit auf und genossen den leichteren Abstieg durch die faszinierende Welt des Bergregenwaldes, in dem Brillenbären und Tucane leben.
Erleichtert wieder im Transporter zu sitzen, nahmen wir auch großzügig zwei russische Rucksacktouristen mit. Ein kleiner Aussichtspunkt am Weg ermöglichte uns die Beobachtung von reich verzierten Särgen aus der Chachapoyaskultur in den Felsen.
Den Sonntag, unserem letzten Reisetag, verbrachten wir bis zum Nachmittag mit einer achtstündigen der Fahrt von der Westseite der Anden hinab in die Stadt Tarapoto. Die Fahrt entlang unzähliger Reis- und Kaffeeplantagen wurde nur unterbrochen durch einen Besuch in einem „Dschungelrestaurant“ mit typischem Fisch sowie eine Mini-Sightseeing-Tour auf einem ökologischen Wanderweg durch tropischen Regenwald.
Tarapoto ist die größte Stadt in der Provinz San Martín und liegt im Amazonastiefland am Fuße der Anden mit einem typischen, feucht-schwülem, tropischen Klima. Während der Regenzeit von Dezember bis März sind die Straßen kaum befahrbar. Wir hatten das Glück, gut zum Flughafen der Stadt durchzukommen.
Tarapoto ist die Moto-Taxi-Stadt überhaupt. Am Flughafen hatten wir, kurz bevor wir in den Flieger zurück in die Hauptstadt stiegen, noch die Gelegenheit eine Fahrt in einem Moto-Taxi zu erleben. Für alle ein riesiger Spaß.
Nach nur zweistündigem Inlandsflug, bei dem wir im Dunkeln die Anden überquerten, nahmen uns unsere Gastfamilien in Lima wieder in die Arme. Aus dem Erzählen kamen wir gar nicht mehr heraus. An die letzten beiden Tage, die uns noch in Peru blieben, wollte in diesem Moment keiner denken, so gefangen waren wir von den vielfältigen Eindrücken. Die Reise war für uns Mädchen ein echtes Abenteuer und wird uns noch lange beschäftigen.
Einen großen Dank an Frau Steinbachs Familie für ihr Engagement. Allesamt hinterlassen wir eine große Sympathie für dieses südamerikanische Land. Wir haben es kennen und lieben gelernt.
Felizia